Der erste Lehrer

Tschingis Aitmatov
Der erste Lehrer

Original:  Первый учитель

Kirgisien 1924, zu Zeiten der Sowjetunion: Der „erste Lehrer“ Düischen baut einen ehemaligen Pferdestall um zu etwas, was es in dieser abgelegenen Gegend noch nie gab: eine Schule! Er tut das für die Kinder im Dorf, doch gegen den Willen der erwachsenen Dorfbewohner, die Duischen belächeln. Er selbst hat kaum Schulbildung, doch angetrieben vom Sinn und Ziel seiner Arbeit, beginnt der idealistische junge Mann zu unterrichten und fördert seine Schülerinnen und Schüler, wo immer er kann.–

Sehr einfühlsam erzählt Aitmatov die Geschichte aus der Sicht von Altynai, die als vierzehnjähriges Mädchen ihren ersten Lehrer erlebt. Sie schreibt als Erwachsene im Rückblick auf ihre Jugend:

Ich glaube, wir haben damals alle unseren Lehrer geliebt, weil er gut und menschlich war, weil er das Beste erstrebte und für uns eine schöne Zukunft erträumte. Wir habe das wohl gespürt, obgleich wir noch Kinder waren. Was hätte uns sonst dazu gebracht, tagtäglich so weit zu gehen und, atemlos vom Wind, mit den Füßen im Schnee versinkend, den steilen Hügel hinaufzusteigen? Wir kamen freiwillig in die Schule. Niemand zwang uns dazu. Niemand verlangte von uns, in diesem kalten Schuppen zu frieren, wo sich der Atem als glitzernder Reif auf unseren Gesichtern, Händen und Kleidern absetzte.

Ich weiß bis heute nicht genau, wie ich mich damals zu solch einem Schritt entschließen konnte. Vielleicht hatte ich mich geärgert, weil meine Freundinnen nicht auf mich hörten, und wollte deshalb auf meinem Vorhaben bestehen, vielleicht war es auch, weil von klein auf mein Wille und meine Wünsche von den Schimpfwörtern und Püffen grober Menschen erstickt worden waren und in mir plötzlich ein dankbares Gefühl aufstieg für diesen fremden Mann, dessen Lächeln mein Herz erwärmte, für sein Vertrauen zu mir, für seine guten Worte. Und ich weiß, ich bin tief überzeugt davon, dass mein Werdegang, mein ganzes weiteres Leben mit all seinen Freuden und Leiden an jenem Tag begann… Ich behaupte das, weil ich an jenem Tag, ohne zu überlegen und ohne mich vor Strafe zu fürchten, zum ersten mal im Leben das tat, was ich für richtig hielt.

 

© Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2001

Aitmatovs bringt seine Sympathie für kommunistische Ideen unaufdringlich zur Sprache. Lenin wird vom Lehrer Düischen idolisiert, doch ist es dem Lehrer ernst, die ideal- kommunistischen Ideale nicht nur zu lehren, sondern auch zu leben, vorzuleben.

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DIE SCHÖNE IDEE KOMMUNISMUS
Von Aitmatov vermutlich nicht beabsichtigt: Auch aus seiner Erzählung habe ich gelernt, warum das kommunistische „Paradies auf Erden“ ein Luftschloss ist, eine auf Sand gebaute Utopie; denn viel zu unterschiedlich ist die charakterliche Reife der Menschen und von den ganz uneigennützigen, sehr liebevollen Menschen, so, wie es der Lehrer Düischen ist, gibt es zu wenige für paradiesiche Zustände auf Erden.

GP

Vom selben Autor: Dshamilja

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