Die Hexe von Zeil

Harald Parigger
Die Hexe von Zeil

Einblicke des Autors in alte Gerichtsunterlagen und Studium der Verhörprotokolle haben es ermöglicht, dass dieses Buch entstehen konnte und uns heute in Romanform vorliegt:

Bamberg, 1627. Die neunzehnjährige Ursula muss erleben, wie nach ihrer Mutter auch ihr wohlhabender Vater der Hexerei angeklagt und eingekerkert wird. In ihrem Gerechtigkeitsempfinden stellt sie sich furchtlos den Vertretern von staatlicher und kirchlicher Obrigkeit entgegen, woraufhin auch sie der Hexerei verdächtigt und ins Gefängnis nach Zeil bei Bamberg gebracht wird, um dort bei Verhören entsetzlichen seelischen wie körperlichen Qualen ausgesetzt zu werden. Zweck dieser Verhöre ist, aus Ursula ein Schuldgeständnis herauszupressen.

Ihre Kerkergenossin, die bereits seit längerem inhaftierte Anna, versucht alles, um das Mädchen zu stärken. Aber auch der die Verhöre protokollierende junge Gerichtsschreiber Christoph kann das perfide Tun seiner Vorgesetzten kaum noch ertragen. Er will versuchen, Ursula zu befreien …

Harald Parigger, dem Historiker und Schriftsteller, gelingt es, Geschichte auch für Jugendliche spannend miterlebbar zu machen. Er hat in alten Stadtarchiven geforscht und schreibt im Vorwort zu seinem Roman:

 

Die meisten Personen in diesem Buch haben wirklich gelebt – die Täter wie die Opfer. Die Verhöre, die Folterungen – sie haben sich wirklich so abgespielt. Die Engstirnigkeit, die Grausamkeit, die Gemeinheit – es hat sie wirklich gegeben. Aber auch Beispiele von Hilfsbereitschaft, Tapferkeit, Einsicht und Zivilcourage.“

Menschliche Niedertracht führte zu Bespitzelungen und Denunziationen. Hohe und Niedrige, Arme und Reiche, Frauen, Männer und Kinder fielen der Brutalität der Hexenjustiz zum Opfer.

Die meisten Zeitgenossen jedoch wurden von der Angst gelähmt, die nächsten Denunzierten und Verhafteten zu sein und … sie schwiegen!

*

„Die Hexe von Zeil“ ist für jugendliche Leser geschrieben, doch auch Erwachsenen beantwortet es anschaulich Fragen zu den Hexenverfolgungen, unter anderem:

Warum schlossen einflussreiche Bürger sich nicht zusammen, um zu protestieren?
Der Stadtrat Wallner berichtet Ursula von seinem Versuch, die anderen Stadträte zu bewegen, eine Petition zur Freilassung ihres Vaters, des Bürgermeisters, zu verfassen:

Ich habe gebeten, befohlen, gedroht und geflucht, aber die Scheißkerle wollten nicht. Keiner von ihnen. Man sollte meinen, dass Amt und Würde Mut und Selbstbewusstsein stärken; aber in Wahrheit stärken sie nur Faulheit und Feigheit. Gib einem Mann ein Amt, und bald darauf wird ihm nur wichtig sein, dass er für seinen bedeutend gewordenen Hintern ein üppiges Polster hat, und seine größte Furcht ist, dass er seine Vorrechte wieder verliert. Nein, es wird keine Petition des Rats der Stadt Bamberg geben, es wird nur eine Bittschrift des Ratsherrn Peter Wallner geben.

Wie es bei den Verhören zuging: „Hast du einen Geliebten?“
Dr. Georg Einwag, vom Bischof für die Ermittlungen eingesetzter Kommissär, befragt die junge Ursula, ob sie einen Geliebten habe. Als sie verneint, geht das Bohren weiter:

„Warum nicht? Gab es keine jungen Männer, die sich für dich interessierten?“

„Doch, schon, aber …“

„Doch? Es gab sie? Und nie hast du einem nachgegeben? Wirklich nicht?

Ursula richtete sich auf. „Nein!“ rief sie. „Nie hätte ich das getan! Und außerdem, was geht es Euch an?“

Die Stimme des Richters wurde schneidend. „Du hast sie also alle abgewiesen. Was hast du denn getan, um sie dir vom Leib zu halten? Welche Mittelchen hast du angewandt?“

„Was sind das für Fragen?“ Ursula schrie, aber nur, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. „Hätte ich mit ja geantwortet, wäre ich eine Hexe, weil ich die Männer zum Verkehr zwinge, antworte ich mit nein, bin ich eine Hexe, weil ich ihnen die Geilheit wegzaubere! Wenn das Eure Gerechtigkeit ist, dann ist jede Frau eine Hexe!“

 

[Dazu diktiert der Untersuchungsrichter ins Verhörprotokoll seinen Kommentar:]
„Sie gibt an, dass sie noch mit keinem Mann verkehrt hat, hat sie alle abgewiesen, will nicht sagen, mit welchen Mitteln;  scheint überhaupt eine heftige Abneigung gegen Männer zu haben.

Gab es auch gute Beispiele?

Ursula fragt den Gerichtsschreiber Christoph nach ihrer Rettung, warum er sie befreit, seine Stellung aufgegeben, sein Leben aufs Spiel gesetzt habe. Er antwortet ihr:

Fast ein Jahr lang war ich Schreiber … Jedes Wort habe ich protokolliert, das die Angeklagten gesagt haben. Und dazu genauestens notiert: In Güte examiniert. Zum Bekenntnis ermahnt. Peinlich befragt, mit Fingerschrauben, mit Beinschrauben …

Ich kam mir bald vor, als ob ich selbst der Henker wäre. Was ist schon der Unterschied zwischen denen die befehlen, denen die Hand anlegen, und denen die dabeisitzen und brav und pflichtgemäß und ohne Widerspruch alles aufschreiben, als ob es rechtmäßig wäre? Ich habe es nicht mehr ausgehalten mitanzusehen, wie sie kamen, ihre Unschuld beteuerten, wie sie dann schrien und um Gnade bettelten und schließlich die scheußlichsten Untaten bekannten.

Im Namen Gottes?
Anna, Ursulas Leidensgenossin im Kerker, beantwortet dies:

Der Bischof und seine Richter … leben in dem Wahn, die Herrschaft Gottes zu festigen, aber sie haben längst die Herrschaft des Bösen errichtet.

Und Ursula lässt ihrer kirchengläubigen Schwester Barbara, Nonne in einem Dominikaner-Kloster, ausrichten:

Was angeblich im Namen Namen Gottes geschieht, sei in Wirklichkeit doch von Menschen gemacht und ihre Schwester solle lernen zu zweifeln! –

Welche Motive gab es für diese Verbrechen?
Antrieb für die Verfolgungen war unter anderem die Gier staatlicher und kirchlicher Machthaber, das Hab und Gut von vermögenden der Hexerei „überführten“ Bürgern zu konfiszieren, woran sich auch die von den Bischöfen beauftragten weltlichen Kommissäre oft genug schamlos bereicherten.

Kräuterwissen vom Teufel?
Es gab Fälle von Frauen oder Männern, die sich mit Heilkräutern auskannten und damit den Kranken halfen. Das genügte, um als Kräuterhexe oder -hexer angezeigt und angeklagt zu werden, denn diese „Zauberrezepte“ konnten nur vom Teufel sein.

Hübsches Mädchen, aber … nicht willig!

Hübsche Mädchen und schöne Frauen, die nicht mit Jungs und Männern tändelten, die sich nicht „willig“ herumkriegen ließen, begaben sich dadurch oft in Lebensgefahr. Wie schnell und leicht konnten sie aufgrund ihres züchtigen Lebenswandels und ihrer keuschen Geisteshaltung verdächtigt werden, mit dem Teufel unter einer Decke zu stecken.

Abgewiesene und in ihrem „Stolz“ verletzte Männer oder auch missgünstige Konkurrentinnen gehörten zu jenen, welche die Mädchen und Frauen bei der Justiz als „Hexen“ anzeigten.

Hexenjagden hier und heute noch?
Wie ergeht es denn in der Gegenwart einem Mädchen, das mit 16 noch keinen Freund oder – wie Ursula im Roman – mit 20 noch keine weitergehenden „Erfahrungen“ gesammelt hat?
Das Mädchen oder die junge Frau muss damit rechnen, gehänselt, als Jungfrau verspottet, mit Ratschlägen bedacht und für unnormal gehalten zu werden. Im besten Falle wird sie bedauert.

Ja, Hexenjagd gibt es heute noch. Die heutige Jagd auf Andersseiende und Andersdenkende hat eine  modernere Form, doch die innere Einstellung von damals ist auch heute die gleiche. Geändert haben sich lediglich die äußeren Formen: anstelle von Peitschenhieben sind es jetzt bösartige Worte, anstelle körperlicher Torturen ist seelisches Foltern (Mobben) getreten durch Versuche, das Andersartige lächerlich zu machen.

GK

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