Fred Uhlman
Der wiedergefundene Freund
Originaltitel: Reunion (Erster Teil) und No coward soul (Zweiter Teil)
Teil I beschreibt die Freundschaft zweier sechzehnjähriger Jungen, die sich für gleiches begeistern können. Erstmals haben sie in dem anderen einen Gleichaltrigen gefunden, mit dem sie alles besprechen können, dem sie alles anvertrauen können.
Der Autor versteht es, den Leser teilnehmen zu lassen an den Träumen und Idealen der Jugendlichen:
In meiner Klasse gab es niemand, der meinem romantischen Freundschaftsideal entsprach, niemand, zu dem ich aufsehen konnte, für den ich hätte sterben mögen und der mein Verlangen nach völligem Vertrauen, nach Treue und Selbstaufopferung begreifen konnte.
Dann kommt der neue Mitschüler Konradin Graf von Hohenfels und mit dieser gleichgesinnten Seele beginnt für Hans ein neuer Lebensabschnitt:
Vordringlich schien es uns, aus unserem Leben das Beste zu machen, wesentlich war zu entdecken, welchen Sinn dieses Leben besaß – falls es überhaupt einen hatte –, und wie das menschliche Dasein sich in diesen erschreckenden, unermesslichen Kosmos einfügen ließ. Vor Fragen dieser wirklichen und ewigen Bedeutung verblasste die Existenz solcher vergänglichen und lächerlichen Figuren wie Hitler und Mussolini.–
Fast täglich diskutieren die beiden Sechszehnjährigen über die Kernfrage:
„Wie sollte man das Leben gebrauchen?
Für welchen Zweck?
Für das eigene Wohl? Für das Wohl der Menschheit?
Wie machte man das Beste aus dieser schwierigen Aufgabe?“—
Hans‘ Vater beschäftigt sich auch mit Jesu Lehre und dem Glauben der Christen:
Einmal hörte ich zufällig wie mein Vater zu meiner Mutter sagte, trotz des Mangels an zeitgenössischen Belegen glaube er, dass Jesus eine historische Figur gewesen sei, ein jüdischer Sittenlehrer von großer Weisheit und Güte, ein Prophet wie Jeremia oder Hesekiel. Aber er könne einfach nicht begreifen, dass man diesen Jesus als Gottes Sohn bezeichne. Es sei für ihn blasphemisch [gotteslästerlich] und abstoßend, sich einen allmächtigen Gott vorzustellen, der tatenlos zusehe, wie sein Sohn diesen bitteren, langsamen Tod am Kreuz erleide, einen göttlichen ‚Vater‘, der nicht einmal den Drang eines menschlichen Vaters verspüre, seinem Kind zu Hilfe zu eilen.
Wie die meisten Juden verkennt Hans‘ Vater die durch die nationalsozialistische Partei aufkommende Gefahr und sagt, dass Hitler nicht sein Vertrauen in Deutschland erschüttere: „Glauben Sie wirklich, dass die Landsleute von Goethe und Schiller, Kant und Beethoven auf so einen Quatsch hereinfallen?“
Wird auch Konradin hereinfallen? Es kommt zur Bewährungsprobe für die Freundschaft mit seinem jüdisch-deutschen Freund Hans …
Teil II: Nachdem Teil I aus der Sicht von Hans geschildert ist, besteht der zweite Teil aus einem langen Brief Konradins an seinen Freund Hans. Es sind die noch fehlenden Teile des Zusammenlegspieles, welche der Leser im ersten Teil nur ahnen kann.
Teil II ist gröber geschrieben. Hat es damit zu tun, dass der Autor Fred Uhlman den zweiten Teil 14 Jahre später herausgegeben hat?
Die Worte, die er Konradin von Hohenfels in den Mund legt, sind nicht mehr die eines idealistischen Jugendlichen, sondern es sind Schilderungen eines desillusionierten erwachsenen jungen Mannes, dessen Hoffnungen und Träume ertötet worden sind, weil er sich von den Worten und Absichten Hitlers täuschen ließ.
Auch sein Verhältnis zu Frauen hat sich gewandelt. Er ist nicht mehr der Konradin, für den als Sechzehnjähriger „Mädchen höhere Wesen von märchenhafter Reinheit waren, denen man sich nur als Troubadour nähern durfte, mit ritterlicher Hingabe und in scheuer Anbetung.“ –
Wer mehr verstehen will über die menschlichen Hintergründe, welche zur Katastrophe in Deutschland von 1933 bis 1945 geführt haben, dem sei dies Buch empfohlen, zeigt es doch, wie auch der hochangesehene jüdische Chefarzt die Situation 1932 falsch einschätzt und wie sogar Ideale suchende Menschen wie Konradin sich zunächst verführen lassen. Doch Konradin von Hohenfels gehört zu den wenigen, die ihre Leichtgläubigkeit, ihr Mitlaufen und Fehlgehen gutzumachen versuchen. Wie er das angeht, überlassen wir Ihnen selber zu lesen.
GK
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