Lewis Wallace
Ben Hur
Das im 19. Jahrhundert nach der Bibel meistgedruckte Buch „Ben Hur“ wurde von 1907 bis 2016 sechs Mal verfilmt! Das Pferdegespann-Rennen, im 11fach-oscarprämierten Film von 1959 der Höhepunkt, ist im Buch nur einer von vielen Höhepunkten.
Seine Verfilmungen übertrifft dieser historische Roman vor allem an Tiefgang, wobei die Handlung erst ab dem zweiten Kapitel von Buchteil 2 in Fahrt kommt, dann steigern sich Tempo, Spannung bis zum achten und letzten Buchteil.
Dabei folgt der Leser der Entwicklung des Juden Ben Hur von seinem 17. bis 30. Lebensjahr. Auf Betreiben seines Jugendfreundes Messala, einem Römer, wird er unschuldig zu lebenslänglichem Rudern auf einer römischen Kriegsgaleere verurteilt. Während eines Seegefechts rettet er den Flotten-Kommandeur Quintus Arrius vor dem Ertrinken, wird von ihm adoptiert und kann in Rom eine Wagenlenker- und Krieger-Ausbildung bekommen, um dann als Erbe seines Adoptivvaters unermesslich reich zurückzukehren in sein Heimatland.
Heimlich gelingt es Ben Hur drei Legionen an jüdischen Männern zu sammeln; denn er plant einen Aufstand, um seine Heimat von der römischen Herrschaft loszulösen. Dabei erwarten diese Männer, Jesus würde sich von ihnen als König der Juden krönen lassen, um sie von der Geißel der Römer zu befreien.
Befreien will Jesus die Menschen, jedoch von ihrer trägen Gottabgewandtheit und Unsittlichkeit, von Neid und Hass auf Nebenmenschen, von Sich-etwas-Besseres-Dünken und Eitelkeit. Er will die Menschen wieder zu Gott führen, von dem sie sich entfremden ließen durch das Diktat der Priester und die Irrlehren der Schriftgelehrten.
Im Gegensatz zu den meisten Priestern schürt Jesus keinen Hass gegen die Römer. Er will nicht irdische Macht oder „König“ der Juden werden. Deshalb wenden sich Menschen und „Volksmeinung“ ab von Jesus, den sie zunächst mit jubelnden „Hosiannah“-Rufen in Jerusalem empfangen hatten. Sie fühlen sich in ihren selbstsüchtigen Wünschen enttäuscht und schreien: „Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!“.
Da steht Ben Hur vor der Entscheidung seines Lebens, doch:
Kein Mensch kann voraussagen, was er tun würde, wenn plötzlich und unerwartet für ihn der Augenblick des Handelns kommt. Das Ereignis, auf das sich Ben Hur mehrere Jahre vorbereitet hatte, war plötzlich da. Der Mann, dessen Verteidigung er sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte, war in Todesgefahr – und er war untätig.
Als es darum geht, den gefangenen Jesus zu befreien, um ihn vor dem Tod am Kreuze zu retten, sind seine Männer nicht bereit, es zu tun; denn sie sind von Jesus enttäuscht. Von Ben Hurs drei galiläischen Legionen sind nur zwei der Hauptleute ihrer Sache treu geblieben, während alle anderen, tausende Männer überlaufen zu den Priestern, die Jesus hassen. So steht Ben Hur fast alleine da in seinem Wunsch, Jesus beizustehen, aber auch er fühlt sich zu schwach und beim Aufrichten der Hinrichtungskreuze kommt ihm zunächst der Gedanke:
„Es ist Gottes Wille, dass es geschehen muss“. Doch dann … hört er den ans Kreuz genagelten Jesus sagen:
Vater vergib ihnen; denn sie wissen nicht was sie tun!
Worte, die zweifeln lassen, dass es sich um ein von Gott geplantes Verbrechen am eigenen Sohn handelt. Balthasar, Ben Hurs geistiger Mentor, weiß das Ereignis der Ermordung am Kreuz richtig einzuordnen:
Welch schrecklicher, welch furchtbarer Tag ist heute für die Welt!
Jesu Wirken ist einer der drei Schwerpunkte in diesem Buch. Daneben Ben Hurs Kampf gegen Messala und die Römer. Außerdem die Frauen um Ben Hur, das sind seine Mutter, seine jüngere Schwester sowie zwei junge Frauen, die ihn stark anziehen:
Esther, „im Verborgenen blühend“, selbstlos, still und bescheiden, von kindlich-reiner, zarter Schönheit, im guten Sinne passiv.
Daneben Iras, eine außerordentlich attraktive Schönheit mit sehr selbstbewusstem Auftreten, besonders intelligent. Mit ihrer Erscheinung weckt sie die Neu-Gier vieler Männer. Sie ist im unguten Sinn aktiv. Eine Frau, die ihr Netz spinnt, um den blind Verliebten für sich zu gewinnen.
„Iras besitzt große List, große Schönheit, aber sie hat kein Herz“ erkennt der lebenserfahrene Simonides, Ben Hurs väterlicher Freund und Vermögensverwalter. Gefragt, wie man Ben Hur vor dieser Frau warnen kann, antwortet er schlicht:
Ein Ertrinkender lässt sich retten, ein Verliebter niemals.
Für welche der Frauen wird Ben Hur sich entscheiden? Auch das wird im weiteren Verlauf des Buches realistisch beschrieben.—
Ich musste beim Lesen unterscheiden lernen, was den Naturgesetzen entsprechend möglich und was unmöglich ist: Also ein Ja zu Wunderheilungen. Aber wenn ein „Augenzeuge“ berichtet, dass aus Wasser Wein gemacht werden kann, dann ein Nein! Solcherart Überlieferungen wurden niedergeschrieben von solchen die etwas über Jesus gehört hatten von anderen, die es erzählt bekamen, von jemandem der es viele Jahre nach dem Geschehen gehört hatte.
Es sind nur sehr wenige falsche Überlieferungen, die Lew Wallace ungeprüft aus unsicheren Quellen übernommen hat. Dafür enthält „Ben Hur“ als Buch so viele sehr starke Seiten, dass ich es Lesern mit Unterscheidungsvermögen sehr empfehle.
(G. K.)
Stellt sehr anschaulich dar, wie alle Priesterklassen stets versagten aufgrund ihres überheblichen Besserwissens, infolgedessen es ihnen an Einfachheit und Klarheit mangelte, derer es bedarf, um jede Offenbarung von Wahrheit oder die Wahrheit selbst erkennen zu können. Sie sahen sich als oberste Instanz in allen religiösen Belangen, die allein befugt war, die „Wahrheit“ zu verwalten und auszulegen. So konnten sie, als die Wahrheit tatsächlich kam, in aller Einfachheit, ̶ denn eben diese ist ihr Wesen ̶ sie nicht erkennen aufgrund des Befangenseins in ihren komplizierten religiösen Anschauungen und Gebräuchen.
Klar zeigt die Schilderung wie ein Volk, gesegnet und auserwählt vom Allmächtigen, und dem Er Seine Gesetze durch hochberufene Propheten hatte offenbaren lassen, trotzdem von dem Dunkel verführt werden konnte durch den Intellektualismus seiner Priesterkaste.
Die verwendete Sprache fand ich sehr gut. Tiefgründig die Gegenüberstellung der Charaktere von Iras und Esther. Auch interessant die Nebeneinanderstellung von Balthasar und Iras: Der Eine geleitet zur Krippe zur Geburt Christi und wiederum geführt, um die Kreuzigung mitzuerleben ̶ seine einzige Tochter jedoch gänzlich dem Dunkel zugewandt.
Sicherlich sehr empfehlenswert.
DR