Stefan Zweig
Der Zwang
Der junge Künstler und Maler Ferdinand lebt zu Beginn des Ersten Weltkrieges mit seiner Frau in der Schweiz. Da bekommt er aus seiner Heimatstadt das befürchtete Schreiben: den Einberufungsbefehl für den Kriegsdienst. Er soll sich beim Konsulat seines Heimatlandes melden, dort Papiere mitnehmen und dann die Schweiz verlassen, um in seinem Geburtsland die Armeeuniform anzuziehen.
Das will er nicht, eigentlich. Doch er schwankt, weil er gehorchen, seine Pflicht erfüllen will.
Als seine Frau spürt, dass er zu schwach ist, um nein zu sagen, beginnt sie mit ihm einen Kampf der Worte. Ein Kampf für ihren Mann und gegen die Kriegsmaschinerie. Mit heißem Herzen auf der Zunge appelliert die Frau an das Gewissen ihres Mannes. Doch bei ihm ist der althergebrachte Zwang zum »Dienst« fürs Vaterland stärker. Und als Ferdinands Kopfgedanken die Stimme seines eigenen Herzens übertönen, stellt die Frau ihn vor die Wahl:
Verlässt er sie für den Krieg, wird sie ihn verlassen – für immer – und nicht auf ihn warten, ob er vielleicht zurückkehrt.
Der Mann weiß, dass die Argumente seiner ihn liebenden Frau richtig sind. Er weiß auch, dass dieser Krieg, der kein Verteidigungskrieg ist, keine gute Sache ist. Durch seine Frau gestärkt, doch weiterhin verunsichert, legt er sich Worte zurecht, um bei der Prüfung im Konsulat als untauglich eingestuft zu werden. Doch als er vor dem Beamten steht, zeigt er sich wieder unentschlossen, tritt ganz unsicher auf und nimmt wort- und widerstandslos seinen Gestellungsbefehl entgegen.
Zurück in seiner Wohnung spricht er kein Wort mit seiner Frau, sondern packt heimlich seinen Rucksack. Als sie merkt, was geschehen ist, sagt sie ihm:
Ich will keinen Feigling als Mann!
Doch auch am Bahnhof lässt sich der Mann von seiner Frau nicht am Besteigen des Zugs abhalten. Beim Umsteigen und Warten an der Schweizer Grenze fährt ein Lazarettzug ein, der im Austausch schwerstverletzte französische Soldaten durch die Schweiz nach Frankreich transportiert.
Ein Wink des Schicksals? Eine letzte Chance umzukehren und dem Krieg fernzubleiben? Soll er auf seine innere Stimme hören? Oder soll er den Weg des geringeren Widerstands gehen und mitmachen wie die anderen?
Stefan Zweig gelingt es, in dieser kurzen Novelle eine Atmosphäre mit allen menschlichen Regungen und Bedenken wiederzugeben. Inhaltlich und auch sprachlich ist es ein Meisterwerk, das von Zeile zu Zeile, von Dialog zu Dialog den Leser auf die seelische Folter spannt.
Pu
SICH ENTSCHEIDEN. Jeder muss das!
Sich entscheiden. Stellung beziehen, dafür oder gegen: in der Schule, am Arbeitsplatz, im Verein, beim Mili- tär: Tue ich, was ich für richtig halte oder schwimme ich mit der Mehrheit mit?
Folge ich den Anweisungen des Vorgesetzten, des Leiters, obwohl ich das Verlangte gar nicht tun möchte?
Oder sage ich nein!
Pu
„Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“
KURT TUCHOLSKY
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