Turgen der Jäger

Nicholas Kalashnikoff
Turgen der Jäger

 
Amerikanischer Originaltitel: The Defender

Herausragendes Kinderbuch. Schlicht, warmherzig, tiefsinnig wird Turgen beschrieben, der einsam auf einer sibirischen Berghöhe lebt und es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine Herde der sehr scheuen Wildschafe zu schützen vor … den Menschen.

Er ist zwar selbst Jäger und Angler, um zu überleben, aber für ihn ist die Jagd kein Spaß, um Trophäen zu sammeln oder damit anzugeben. Daher hätte als Buchtitel im Deutschen wie im amerikanischen Original „Der Verteidiger“ besser gepasst, im Sinne von Beschützer. Turgen ist einer dieser wortkargen Nordlandmänner, die

wissen zur richtigen Zeit zu reden und zu schweigen.

Die Dorfbewohner im Tal meiden Turgen, weil sie den Gerüchten über ihn Glauben schenken.

Mit dem Geschwätz ist es wie mit dem Feuer. Erst brennt es ein wenig macht bloß Qual, dann brennt es hell und schließlich lichterloh.

Auch solche Weisheiten, ganz natürlich zur Handlung passend, gibt es zu lesen.

Fein geschildert wie Turgen der allein wohnenden und tagsüber als Dientsmagd arbeitenden Witwe Marfa mit deren zwei jungen Kindern helfen will:

Sie gefiel Turgen mit ihrem dicken schwarzen Haar und den braunen Haselnussaugen, die treuherzig blickten.
‚Da drinnen ist ihre Schönheit‘, dachte Turgen, ‚aber da ist auch Trauer und Sorge und all das. Natürlich verbirgt sie ihren Kummer, aber ich kann lesen. Ich will mal lesen, was da steht‘, dachte Turgen. ‚Da steht: Wenn ich morgen nicht irgenwoher etwas bekomme, weiß ich nicht, was aus uns werden soll.‘

Wie es Turgen gelingt, der Witwe mit ihren Kindern zu helfen, die Wildschafe vor Ausrottung zu retten und wie er am Ende nicht mehr einsam ist, lohnt sich zu lesen. Wir wünschen uns mehr solcher Kinderbücher.

Ab etwa 10 Jahren

RK/Pu

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Ferdinand

Munroe Leaf mit Bildern von Robert Lawson
Ferdinand

 

Amerikanischer Originaltitel: The Story of Ferdinand
Aus dem Amerikanischen von Fritz Güttinger.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 1977, 2013 Diogenes Verlag AG Zürich

 

Stierkind Ferdinand ist anders als seine Gleichaltrigen. Er freut sich an Blumen und der Natur. Rempeln und mit ihren Hörnern stoßen, das ist nichts für ihn.

Was jedoch geschieht, wenn er als ausgewachsener starker Bulle an einem Stierkampf teilnehmen soll? Und dort auf einen eitlen Torero mit Degen sowie dessen Gehilfen, den Banderilleros und Picadores, die den Stier durch Malträtieren reizen sollen?

Auch damit weiß Ferdinand umzugehen.—

Mit ganz wenigen Worten und viel Herz geschrieben. Schön und amüsant illustriert.

RK

Mit einfachen Worten ausgedrückt und dazu passenden Zeichnungen: Man muss nicht alles mitmachen und auch „Nein!“ sagen können. So bleibt Ferdinand glücklich.

GK

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Kummer auf vier Pfoten

Astrid Frank
Kummer auf vier Pfoten

Hund

Angeschafft – zur Last geworden – abgeschafft: so ergeht es leider vielen Hunden und anderen Tieren. Deshalb ist „Kummer auf vier Pfoten“ ein wichtiges Buch für alle die sich überlegen, einen Hund zu sich zu nehmen.

Welpe Nathan ist anfangs glücklich bei seinen Menschen, wird jedoch nach anderthalb Jahren ins Tierheim gebracht.

Einmal blieb ein kleines Mädchen vor Nathans Zwinger stehen. Alles, was es von ihm sah, war sein magerer Rücken und die hervorstehenden Hüftknochen.

Nathan lag eingerollt, mit dem Gesicht zur Wand, in der hintersten Ecke des Zwingers.

„Schau mal“, sagte das Mädchen zu seiner Mutter. „Der ist aber traurig.“
„Der ist nicht traurig, Schatz“, sagte die Mutter und beugte sich ein wenig zu ihrer Tochter hinunter. „Der ist alt.“

„Und krank“, sagte der Vater.

„Nein, er ist traurig“, beharrte das Mädchen.

„Er ist krank, weil er traurig ist“, sagte der Tierheimleiter, der die Familie auf der Suche nach einem neuen Hausgenossen begleitete.
„Aber alt ist er nicht.“

„Und warum ist er traurig?“, fragte das Mädchen.

„Er hat ein gebrochenes Herz“, sagte der Tierheimleiter. „Er hat zwei Mal Menschen seine Liebe und sein Vertrauen geschenkt und er ist beide Male enttäuscht worden.

Nun hält er nichts mehr von den Menschen. Er hat sich und sein Leben aufgegeben.“

„Und dadurch ist er krank geworden?“, fragte die Mutter.

„Organisch gesehen ist er gesund. Aber er verträgt das Tierheim nicht.“, erklärte der Tierheimleiter. „Wenn Sie mit ihm spazieren gehen, werden Sie merken, dass er nicht wirklich krank ist.“

Linnea, das kleine Mädchen, fühlt was Nathan fehlt. Dies ist der Anfang vom Ende von Nathans Leiden und zugleich der Anfang seiner großen Liebe zur jungen Linnea.

In diesem kurzen, schön illustrierten Buch beschreibt Astrid Frank Leid und Freude des Tieres mit einfachen, tiefgehenden, kindgerechten Worten.

R K

Zu einem weiteren Buch von Astrid Frank: „Unsichtbare Wunden“

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Fass zu, Toyon!

Nicholas Kalashnikoff
Fass zu, Toyon!

Amerikanischer Originaltitel: Toyan, a Dog of the North and his People

„Gut so, Toyon“ wurde es für die niederländische Ausgabe „Goed zo Toyon“ übersetzt, ein Buchtitel, der viel besser zum Inhalt als „Fass zu“ passt; denn der große, starke Hund Toyon kann viel mehr als nur zufassen, zupacken.

Zu Beginn der begeisternden Erzählung begleiten wir einen zwanzigjährigen jungen Mann, der aus politischen Gründen für fünf Jahre nach Nordsibirien verbannt wird. Auf der langen Reise ins Lager darf er für drei Nächte in einer kleinen Siedlung rasten. Dort ist er zu Gast bei Guran und dessen Familie mit deren Hund, der ihn an einen gezähmten Wolf erinnert, dessen Augen von großer Intelligenz zeugen, aber auch von einem Leben voll Leid und Erfahrung sprechen.

Auf Nachfrage des Gastes erzählt Guran die Entwicklung Toyons vom Welpen bis zum legendären Hund und damit verbunden vom Werdegang der ganzen Familie.

Ein Gottesgeschenk sehen Guran und Anna, seine Ehefrau, in dem Welpen Toyon. Und sein „Herrchen“ sagt über den Hund:

Entdecke seine angeborenen Gaben, dann entfalte sie durch das richtige Training.

Wir müssen ihn nur richtig erziehen. Er soll fühlen, dass er unser Freund ist, ein Mitglied der Familie – nicht, dass wir nur seine Herren sind, die ihn füttern und dafür Gehorsam fordern.

Gut beschrieben wird, wie junge Hunde durch Nachahmung von Mutterhunden, älteren Hunden oder Menschen immer mehr lernen.

Jung-Toyon erheitert seine Menschen durch Kapriolen und bald reißt er auch den gutmütigen „Faulpelz“, den älteren behäbigen Hofhund, zum Mehr-sich-Bewegen mit. Von ihm lernt das Jungtier, dass nicht allein Mut, sondern Vorsicht genauso wichtig ist.

Der weitere Lebensweg Toyons zeigt, zu welchen Leistungen Hunde fähig sind, wenn ihre verschiedensten Fähigkeiten durch Erziehung gefördert und durch Aufgaben herausgefordert werden. Während wir heutzutage Hunde oft nur als Gesellschaftstiere kennen, die stundenlang auf ihren nächsten Spaziergang warten müssen, so ist es bei den in Nordsibirien heimischen Tungusen anders; denn diese von Viehzucht und Jagd sich ernährenden Menschen könnten ohne Hunde nicht überleben. Es sind Hunde wie Toyon, die bei der Jagd unerlässlich sind und außerdem die Rentiere, Schafe, Kühe, Pferde und … Kinder hüten. Hunde, die Wölfen sich entgegenstellen und üblen Leuten Einhalt gebieten. Dabei wittern die Hunde nicht nur mit der Nase, sondern durch einen besonderen Sinn.

Feinsinnig beschreibt der Autor, wie Menschen oft Warnungen erhalten: durch ihre Hunde, was oft nicht beachtet wird oder durch Träume oder wie Anna ihre weibliche Intuition ausspricht, auf die ihr Mann nicht immer hören will, was dann dazu führt, dass Guran die bittere Erfahrung machen muss:

Unglück schmerzt, doch öffnet es die Augen.

Als der junge Ziehsohn Dahn im frühen Winter um jeden Preis der Erste sein will, der im Fluss ein Eisloch haut, um Fische zu angeln, gibt ein alter Mann ihm den Rat:

Versuch nicht, die Natur anzutreiben. … Lass das Eis dick und fest werden.

Doch Dahn in seinem Ehrgeiz begibt sich trotz Warnungen von Mensch und Hund aufs dünne Eis, bringt damit sich und den ihn begleitenden Toyon in Lebensgefahr.—

Nicholas Kalashnikoff konnte dieses Buch so wirklichkeitsgetreu schreiben, weil er selbst von seinem 17. bis 21. Lebensjahr nach Sibirien verbannt worden war. Dabei muss der gute Beobachter viele Erfahrungen mit Tieren gesammelt haben; denn er schreibt unter anderem von Hunden, die bei Unwohlsein oder Krankheit sich selber Heilkräuter suchen und diese fressen, eine Tatsache, die auch ich mehrmals bei eigenen Hunden gesehen habe.

Deutlich wird wie Hunde bei drohenden Gefahren auch von der Einstellung der Menschen beeinflusst werden; denn als der Hund
„Blackie sah, dass Dahn nicht aufgeregt war, schöpfte auch er Mut und hielt forschend Ausschau nach den Wölfen.“

Und dass Hunde auch auf Gedankenübertragung reagieren, ist dem Autor zur Gewissheit geworden:

Da es mir nicht länger seltsam erschien mit Hunden Gedanken auszutauschen …

Im Gegensatz zu Märchen oder Erzählungen, in denen Tiere vermenschlicht werden, sind bei Kalashnikoffs Erzählungen hochentwickelte Tiere keine Menschen auf vier Pfoten, sondern Wesen mit Seele, die den Menschen Freund und Helfer sein können. Wobei Guran sogar davon ausgeht, dass der „gute Geist“ von Dahns Großvater durch den Hund „wirkt“.

Als am Ende der Geschichte der junge Mann weiter ziehen muss zum Gefangenenlager, ist er gestärkt durch die Gastfreundschaft der Tungusenfamilie:

Eine Gegend, in der so gütige, einfache Menschen zu finden waren, konnte nicht schlecht sein. Es war ein erwärmender Gedanke angesichts von fünf Jahren in diesem frostigkalten Lande des Nordens. Und wiewohl Toyon mir als mit geheimnisvollen Kräften begabt vorgestellt wurde, besann ich mich darauf, dass er so außergewöhnlich nur jenen war, die ihn liebten. Was er getan hatte, könnten kluge und treue Hunde auf der ganzen Welt tun.

Ab 10 Jahren.

Pu

 

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Öffne mir das Tor zur Welt!

Helen E. Waite
Öffne mir das Tor zur Welt

Das Leben der taubblinden Helen Keller
und ihrer Lehrerin Anne Sullivan

 

Amerikanischer Originaltitel: Valiant Companions: Helen Keller and Anne Sullivan Macy

Öffne mir das Tor zur Welt ist als Titel sehr passend; denn Helen ist ein siebenjähriges Mädchen, das mit eineinhalb Jahren plötzlich taub und blind wird. Doch ist dies nicht eine erfundene Geschichte, sondern ein Tatsachenbericht.

Helens Eltern sind überfordert und lassen alles zu, was ihre Tochter tut und nicht tun will. So greift sie bei Tisch mit ihren Händen in den eigenen Teller und in die Teller der anderen. Sie entwickelt sich zu einem wilden Geschöpf und beschreibt später einmal wie sie sich damals fühlte: gefangen im eigenen Körper, der nichts sehen, nichts hören und nicht sprechen kann!

Zum Glück bekommt das Kind eine Hauslehrerin, die 21-jährige Anne Sullivan, die ihr buchstäblich das Tor zur Welt öffnet. Die Lehrerin, die selbst blind gewesen war, bleibt Tag und Nacht bei ihr, muss ihre Schülerin zunächst zähmen. Und … großartig und erstaunlich, was Helen durch Gefordert- und Gefördert-Werden nach kurzer Lernzeit schon alles kann, unter anderem Fingeralphabet, Braille-Blindenschrift lesen, Briefe selber schreiben, sogar sprechen.

Die junge Helen hat einen starken Willen, möchte mehr und mehr lernen und auch Tiefgründiges erfassen. Zum Beispiel fragt sie als Zehnjährige: „Wo war ich, ehe ich zu Mutter kam?“

Die Kombination von einer genialen jungen Lehrerin und einer nach Wissen suchenden Schülerin wird begeisternd beschrieben.

Wenn man das Buch gelesen hat, ist man umso dankbarer für sehende Augen und hörende Ohren.

Über Helen Keller oder über „Teacher“, wie sie Anne Sullivan nennt, gibt es viele Bücher. Am eindringlichsten und lebendigsten fand ich dieses Buch.

R K

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Insel der blauen Delfine

Scott O‘Dell
Insel der blauen Delfine

Originaltitel: Island of the Blue Dolphins

 

Ein Indianermädchen als Robinson Crusoe: Die zwölfjährige Karana bleibt ohne ihren Stamm ganz alleine auf der Insel zurück und kämpft ums Überleben.

Was sie in den nächsten Jahren erlebt, wird mitreißend beschrieben:
Zurechtkommen mit dem Alleinsein ohne eine andere Menschenseele. Wurzelsammeln. Speere herstellen zum Fischen und Jagen. Kanu bauen. Tödliche Gefahren durch verwilderte Hunde. Zähmen des Rudelführers Rontu, der ihr Freund und Beschützer wird. Zähmen von Vögeln und einem Otter.

„Das Mädchen Karana wird in einer so innigen und engen Beziehung zu den natürlichen Elementen dargestellt, der Erde, dem Meer, den Tieren und den Fischen, dass der Leser sowohl den Schrecken als auch die Schönheit des Lebens nacherlebt. Das ist ein Buch, das den Leser zum Staunen bringt“, schreibt Carolyn Horovitz in einer Rezension.

Besonders gefallen hat mir, wie respektvoll Karana mit der Natur und den Tieren umgeht.

RK

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